Simon schaut “Aufbruch zum Mond” (First Man; 2018)

Regisseur Damien Chazelles neuer Film Aufbruch zum Mond ist gleichzeitig ein intimes Familiendrama und ein viszerales Erlebnis, ein Film über den Umgang mit Trauer und den Wettlauf ins All. Diesen Film muss man gesehen haben, am besten auf einer großen Leinwand.

Simons Highlights

  • Ryan Gosling als Neil Armstrong, Claire Foy als Janet Armstrong, Jason Clarke als Ed White und Corey Stoll als Buzz Aldrin
  • Chazelles unaufgeregte Erzählweise
  • die Verbindung der traurigen Familiengeschichte der Armstrongs mit der Mondmission
  • die Filmmusik von Justin Hurwitz
  • der Start der Apollo 11 und die Landung auf der Mondoberfläche

Worum es geht

Im Jahr 1961 ist Neil Armstrong Testpilot der NASA und macht Höhenflüge mit dem Raketenflugzeug X-15. Nachdem ihm beinahe der Wiedereintritt in die Atmosphäre misslingt, wird ihm die Flugerlaubnis entzogen. Neil hat Frau und Kinder, seine kleine Tochter Karen leidet jedoch an einem Gehirntumor. Sie stirbt noch vor ihrem dritten Geburtstag. Voller Trauer und auf der Suche nach einem Neuanfang bewirbt sich Neil als Zivilist beim Gemini-Projekt und zieht mit seiner Familie nach Houston. Es gelingt ihm jedoch nicht mit dem frühen Tod seiner geliebten Tochter abzuschließen, auch weil immer und immer wieder enge Freunde bei Missionen ums Leben kommen.

Simons Kritik

Aufbruch zum Mond ist einer der besten Filme des Jahres, soviel vorweg. Es ist bemerkenswert und außergewöhnlich, wie hochwertig und einzigartig Damien Chazelles Filme in seiner jungen Karriere sind. Der Regisseur wurde für La La Land (2016) mit dem Oscar als bester Regisseur ausgezeichnet und ist damit der jüngste Preisträger überhaupt. Die Gemeinsamkeit in seinen drei sehr unterschiedlichen Filmen ist der Ehrgeiz der Protagonist*innen. Seine Figuren sind bereit, viel zu opfern. Diese Zielstrebigkeit ist jeweils unterschiedlich motiviert.

Ryan Gosling spielt Neil Armstrong. Er ist ein intelligenter, pflichtbewusster, stoischer Mensch und genau der Richtige für die größte Mission der Menschheit. Er ist ein introvertierter Mann, der nicht über seine Emotionen sprechen möchte und der versucht, alles mit sich selbst auszumachen. Im Hintergrund ist es die persönliche Tragödie, die ihn zeichnet. Es ist unheimlich schwer, eine so untertriebene, besonnene Figur zu spielen, die in ihrem Inneren einen schweren Kampf austrägt. Ryan Gosling ist großartig in dieser Rolle, deren Typus man selten auf der großen Leinwand zu sehen bekommt.

Claire Foy, die ich seit The Crown großartig finde, ist als Janet Armstrong der emotionale Anker für diejenigen Menschen, die sich schwer mit Neil identifizieren können. Sie spricht an mehreren Stellen genau das aus, was man im Publikum denkt. Auch die anderen Nebenrollen sind wunderbar besetzt, insbesondere Jason Clarkes Performance als Neils bester Freund und Nachbar Ed White hat mich nachhaltig beeindruckt.

Ein Film über die Mondlandung, eines der wichtigsten Ereignisse der Geschichte der Menschheit und ein Ereignis großen amerikanischen Stolzes, hätte auf dem Papier mehr Menschen ins Kino locken müssen. Weltweit hat der Film circa $100 Millionen eingespielt, weniger als 50% davon in den USA. Dafür gab es sicherlich viele Gründe, einer hat mit der amerikanischen Flagge zu tun (die sogenannte “flag controversy”), ein weiterer mit dem Trailer und der Erwartungshaltung des Publikums an den Film.

Chazelle hat sich entschieden nicht zu zeigen, wie die amerikanische Flagge in die Mondoberfläche gerammt wird. Diese Entscheidung hat eine politische Debatte in den USA ausgelöst, in der einflussreiche Republikaner Chazelle vorwarfen, sein Film würde sich für amerikanische Errungenschaften schämen. Chazelle betonte in einem Interview mit The Guardian, dass seine Entscheidung ästhetischer Natur war, und dass Patriotismus ein wichtiger Teil des Films sei. Dennoch haben die Vorwürfe im politisch zerklüfteten Amerika sicherlich einige Menschen abgehalten, sich Aufbruch um Mond auf der großen Leinwand anzusehen.

Ein weiterer Grund war vermutlich, dass der Trailer nicht zeigt, um was es in dem Film eigentlich geht. Denn im Kern ist Aufbruch zum Mond ein Film über die Trauer eines Mannes um seine Tochter, ein Film über den Umgang mit Tod und der Unsicherheit, ob man selbst zurückkehrt. Dies hat natürlich zur Folge, dass im Film eine traurige, fast depressive Grundstimmung vorherrscht. Der Film ist kein Thriller, kein Actionfilm, sondern ein waschechtes Drama mit einigen Actionsequenzen. Dies wurde in den Trailern anders vermittelt.

Der Weg zum Mond ist dreckig, furchteinflößend und tödlich. Wenn die Astronauten in die engen Kapseln steigen und die Arme über der Brust verschränken, dann sieht es fast so aus, als stiegen sie in ihre eigenen Särge, Särge aus Blech. Chazelle macht diese Szenen zu viszeralen Erlebnissen. Wir empfinden Klaustrophobie, werden mit den Astronauten durchgeschüttelt, alles dreht sich. Wir verlieren die Orientierung, bleiben sehr nah an den Astronauten, erhaschen selten einen Blick auf das, was außerhalb unseres Käfigs geschieht. Aus technischer Perspektive kann man den Film nur bejubeln. Chazelle hatte eine Vision, die er grandios orchestriert hat.

Die Filmmusik, komponiert von Justin Hurwitz, ist phänomenal. Sie hat einen wesentlichen Anteil an der Erzeugung und Aufrechterhaltung der melancholisch-traurigen Grundstimmung des Films. An den richtigen Stellen im dritten Akt tritt der Score in den Vordergrund und macht den Start der Mondmission und die ersten Blicke auf das Grau und Schwarz der Mondoberfläche zu einem erhebenden Erlebnis, dem man sich ergeben muss – und das an sich bereits den Ticketpreis rechtfertigt. Hurwitz war bisher bei jedem von Chazelles Filmen für die musikalische Untermalung zuständig und hat für La La Land zwei Oscars gewonnen.

Aufbruch zum Mond ist ein Film über den Umgang mit Trauer und Tod und über die Mondmission. So gegensätzlich diese zwei Dinge auch erscheinen, Damien Chazelles Interpretation von Neil Armstrongs Geschichte bringt sie zusammen. Erst auf dem Mond, dem abgeschiedensten und menschenleersten Ort, den man sich vorstellen kann, lässt Neil los und hat die Chance auf den wahren Neuanfang.

6.5 von 7 Falken

Simon

Redakteur Moviefalcon.de, Film-, Kino-, Oscarenthusiast! Wenn nicht gerade unterwegs in einer weit entfernten Galaxis, dann sicherlich mit Mad Max auf der Fury Road oder zu Besuch im Grand Budapest Hotel.

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