Simon schaut “The Revenant” (2015)

Western, Thriller und Historienfilm unter dem Deckmantel der Rache eines leidenden Leonardo DiCaprios, der in Überlänge um sein Überleben kämpft. Nach den Höhepunkten im ersten Akt verliert sich der Film in unnötiger Nebenhandlung. Eine Grausamkeit jagt die Nächste und bleibt doch bedeutungslos. Die Kamera ist der wahre Star des Films.

Simons Highlights

  • Emmanuel Lubezki
  • das Intro (der Angriff/die Schlacht um die Felle)
  • die Bärenszene

Worum es geht

Aus dem Nichts fliegen den Pelzjägern die Pfeile entgegen, als die Arikara ihren Angriff beginnen. Nur wenige der weißen Jäger können entkommen und befinden sich fortan auf der Flucht vor dem Stamm amerikanischer Ureinwohner. Doch die Gefahr lauert auch anderswo: Auf einer Erkundungstour im Wald wird Hugh Glass (Leonardo DiCaprio) von einem Grizzlybären angegriffen und lebensgefährlich verletzt. Am ganzen Körper blutend und mit aufgeschlitzter Kehle finden ihn seine Gefährten. Zunächst nehmen sie ihn mit, verlieren jedoch zu viel Zeit. Notdürftig zusammengeflickt überlassen sie ihn schließlich seinem Schicksal. Doch Hugh überlebt und sinnt auf Rache an Verräter John Fitzgerald (Tom Hardy), der durch seine Intrigen Hughs Hass auf sich gezogen hat…

Simons Kritik

Ich liebe die drei letzten Filme von Regisseur Alejandro González Iñárritu. Babel (2006) hat mich überwältigt, Biutiful (2010) schockiert, Birdman (2014) inspiriert. Der mexikanische Regisseur holt alles aus seinen Darstellern heraus und verpackt eine vielschichtige Geschichte in Emotionen. Dabei überrascht er mit unvorhersehbaren Twists. The Revenant (2015) bringt ihn mit Leonardo DiCaprio und Emmanuel Lubezki zusammen. Letzterer war auch an Birdman beteiligt und ist einer der besten Kameramänner unserer Zeit. Über DiCaprio muss man nichts mehr sagen.

Ihr merkt es, meine Erwartungen an den Revenant waren sehr hoch. Nicht zuletzt, weil der Rachethriller 12 Oscarnominierungen einsackte. Doch meine Begleitung und ich verließen das Kino enttäuscht: Für mich ist The Revenant der mit Abstand schlechteste Iñárritu-Film, den ich bisher gesehen habe, und auch einer der schwächeren DiCaprios (was aber nicht an DiCaprio selbst, sondern seiner Figur gelegen haben mag). Nur Lubezki hat geliefert. Und Tom Hardy, der Akzente setzte, zu denen DiCaprios Charakter nicht in der Lage war.

Bisher hatte jeder von Iñárritus Filmen diesen Moment der Überraschung, der beim Revenant fehlt. Die Haupthandlung ist sehr geradlinig und vorhersehbar. Die Nebenhandlung rund um befeindete Ureinwohner und französische Wilderer ist nicht nur unnötig, sondern auch langweilig und unausgewogen. Die Spannung war nach der ersten Stunde dahin. Lubezkis Landschaftsaufnahmen waren zwar durchweg beeindruckend, wurden jedoch zu ausgiebig als Szenenübergänge eingespielt. Der Film zog sich wie Kaugummi. Das lag auch an der Geschichte selbst: Die Bärenszene war eindrucksvoll und fungierte als Schlüssel, als auslösendes Element, doch wofür? Mit der Impulsivität der ersten halben Stunde (Überfall und Bärenszene) konnte der Rest des Films nicht mithalten, weil der Großteil der Geschichte erzählt ist. So versuchte es Iñárritu mit weiteren Grausamkeiten, um der Übermacht der frühen Bärenszene Herr zu werden. Er ließ Leo sich eigene Wunden veröden, rohe Bisoninnereien essen, in ausgeweideten Pferdekadavern schlafen und von Klippen stürzen. Der obligatorische Wasserfall fehlte selbstredend auch nicht. Das hört sich jetzt spektakulär an, doch es gelang dem Drehbuch immer und immer wieder, sämtliches Tempo herauszunehmen und zu verschwenden, zum Beispiel durch die unnötigen Nebenhandlungsstränge.

Tom Hardy glänzt wie die Sonne auf dem weißen Schnee: Zwar ist sein Charakter eindimensional böse, über seine Motivation erfährt man wenig, jedoch spielt er seinen Charakter aus. Er ist laut und leise, dabei durchweg unsympathisch und intrigant. Es gibt bei ihm keine Charakterentwicklung, einem Nebencharakter sei es verziehen. Leider finden wir auch keine Entwicklung bei Hauptcharakter Hugh Glass. Schlimmer noch, Leo leidet. Zweieinhalb Stunden lang. Er leidet unter dem Bären, auf der Trage, beim Kriechen, bei Laufversuchen, in einer Höhle, im Wasser. Er gibt zu viel und entkommt seiner Opferrolle nicht. Er spricht nicht, sondern gibt hauptsächlich undefinierte Laute von sich. Einzig sein letzter Blick in die Kamera gibt dem Finale ein wenig Tiefe.

Zwei Stunden leiden wir mit ihm und ekeln uns, wenn erneut seine faulenden Wunden eingeblendet werden. Wenn das der Realismus ist, den Iñárritu abbilden wollte, dann steht er in krassem Gegensatz zur Unverwundbarkeit des Hauptcharakters, der all die Gräuel, die ihm durch Drehbuch und Regie angetan werden, irgendwie überlebt. Ich verstehe ja: Man musste zeigen, dass Hugh Glass eine echt schwere Zeit nach der Attacke hatte. Doch statt Rückblenden oder Zeitsprüngen, zum Beispiel durch kürzere Schnittabfolgen, wurde versucht, immer und immer wieder eine besonders schlimme Szene aus dem Hut zu zaubern. Es resultierte dieses Gefühl des nicht-endenden Films. Vielleicht gehörte auch das zu Iñárritus Rezept: Wir lassen das Publikum wahrhaftig mitleiden. Meiner Ansicht nach müsste Mitleid jedoch durch Empathie für die Hauptfigur geweckt werden. Das hat bei mir nicht funktioniert. Ich mache den vielen kalten Schnee dafür verantwortlich.

Im Finale fühlte ich mich (eigentlich unverzeihlich) an den dritten Hobbit-Film erinnert: Es wollte nicht vorbei gehen. Damit passte das Ende zu meinem Gesamteindruck des Films. Es war mir sogar egal, wer überleben würde. Selten habe ich so häufig während eines Kinobesuchs an die Uhrzeit gedacht…

Nichtsdestotrotz: Der ganze Film wurde bei natürlicher Beleuchtung gedreht – und man sieht es. Wenn Lubezki zu Beginn gemeinsam mit den Jägern durch den Fluss schleicht, oder die Gesichter der Darsteller in Close-Ups einfängt, die Schneebedeckten Ebenen und Wälder, die Fackeln im nächtlichen Wald… Das ist schon sehr beeindruckend. Die natürlichen Sounds untermalen die Bilder, fangen uns ein und bringen uns die kalte Natur in den Kinosaal. Der Score ist eingängig. Die Szenerie ist malerisch, die Kostüme sehen gut aus. Technisch kann man vor dem Team nur den Hut ziehen, vor allem unter den schweren Produktionsvoraussetzungen. Was für ein genialer Film The Revenant hätte werden können, wenn man an einigen Schrauben gedreht hätte…

3.5 von 7 Falken

Simon

Redakteur Moviefalcon.de, Film-, Kino-, Oscarenthusiast! Wenn nicht gerade unterwegs in einer weit entfernten Galaxis, dann sicherlich mit Mad Max auf der Fury Road oder zu Besuch im Grand Budapest Hotel.

2 Gedanken zu „Simon schaut “The Revenant” (2015)“

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