Simon schaut “The Favourite” (2018)

The Favourite – einer der besten Filme des vergangenen Jahres mit einer Ensembleleistung für die Ewigkeit! Wenn man andere Filme von Regisseur Yorgos Lanthimos kennt, weiß man, worauf man sich einlässt. Für alle anderen ist The Favourite der perfekte Einstieg in eine Filmographie voller Skurrilitäten und tragikomischer Figuren.

Simons Highlights

  • die großartige Geschichte über die Machtverschiebungen zwischen drei Frauen
  • das Ensemble: Olivia Colman als unselbstständige und depressiv-verstimmte Queen Anne, Rachel Weisz als einflussreiche Sarah, Emma Stone als opportunistische Abigail, Nicholas Hoult als Scenestealer Robert Harley und Joe Alwyn als Toyboy Samuel Masham
  • Bildregisseur Robbie Ryans Fischaugenobjektive und seine Nutzung natürlicher Beleuchtung, insbesondere die Aufnahmen im Kerzenlicht
  • skurrile, ungewöhnliche Szenen wie das Entenrennen

Worum es geht

Im Jahr 1708 regiert Queen Anne (Olivia Colman) Großbritannien, zumindest auf dem Papier, denn Queen Anne hat viele andere Interessen und diverse gesundheitliche Probleme. Effektiv ist es dehalb die Herzogin von Marlborough, Sarah Churchill (Rachel Weisz), die die Pflichten der Königin erfüllt. Sarah Churchill nutzt ihre heimliche Beziehung zur Königin, um ihre eigene politische Agenda durchzubringen. Doch dann taucht Sarahs Cousine Abigail (Emma Stone) auf und ein Machtkampf um die Gunst der Königin beginnt.

Simons Kritik

Als junger Mensch hat man so einiges aufzuholen: Vor ein paar Monaten habe ich das erste Mal den Klassiker All About Eve (Alles über Eva; 1950) von Joseph L. Mankiewicz gesehen und zähle ihn seitdem zu meinen Lieblingsfilmen. Selten denke ich nach einem Film als erstes an das Drehbuch, aber bei dem zeitlosen All About Eve war es so trotz unglaublicher darstellerischer Leistungen von Bette Davis, Anne Baxter und Celeste Holm. Jede Zeile ist so pointiert, jeder Austausch macht vom Sofa aus Spaß und erfüllt mich gleichzeitig mit Ehrfurcht. Wenige Filme können das nur aufgrund der gesprochenen Wörter.

Ähnlich erging es mir kürzlich, als ich (gemeinsam mit Moviefalcon Phil) The Favourite von Yorgos Lanthimos nach einem Drehbuch von Deborah Davis und Tony McNamara sah. Vor ein paar Jahren saß ich in The Lobster (2015) im Kino und machte meine ersten äußerst skurrilen Erfahrung mit Lanthimos. The Favourite ist etwas massentauglicher, die Fußabdrücke des Regisseurs sind aber nicht zu übersehen.

The Favourite geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Die Dialoge sind häufig bissig oder zynisch, komisch, manchmal auch liebevoll. Zu jeder Zeit ist man gespannt darauf, was als nächstes gesagt wird, was als nächstes geschieht. Wie auch in All About Eve gibt es in The Favourite das notwendige Set an Figuren, zu denen die Dialoge passen wie angegossen.

Eine weitere Gemeinsamkeit mit All About Eve ist, dass es in The Favourite um Machtkämpfe zwischen mehreren Frauen geht. The Favourite hat gleich drei weibliche Hauptfiguren, auch wenn Olivia Colman von vielen Awardshows als die Hauptdarstellerin und Rachel Weisz und Emma Stone als Nebendarstellerinnen verkauft werden. Der Film gibt allen drei Frauen genug Raum: Alle drei scheinen, aber niemand wird von den anderen überstrahlt – ein Ensemble-Meisterwerk.

Olivia Colmans Queen Anne ist einzigartig. Colman spielt die Verrücktheiten der Königin mit viel Situationskomik, aber gleichzeitig wohnt ihr eine tiefe Trauer und Tragik inne, die das Publikum mitfühlen lässt. Ihre Entscheidungen wiegen schwer, aber erst ganz am Ende versteht sie, was um sie herum passiert.

Rachel Weisz spielt Sarah Churchill, die früh im Film als Strippenzieherin inszeniert wird, und die über die Königin zu entscheiden scheint. Dies macht sie zunächst unsympathisch. Ihr Verhältnis zur Königin geht aber deutlich tiefer. Weisz spielt Sarah mit viel Vernunft und Stärke. Man beginnt zu verstehen, warum sie den Hof führt.

Emma Stone stolpert als Abigail vom Schmutz in neue Kleider. Stone bringt ihren typischen Charme mit in ihre Performance, zeigt aber gleichzeitig eine ungewohnte Seite. Ihre Abigail ist ein Chamäleon, an dem man sich verbrennen kann.

Nach zehn Minuten sind alle Figuren auf dem Schachbrett, auch der großartige Nicholas Hoult als Robert Harley, ein echter Scenestealer. Das Match beginnt und lässt einen nicht mehr los.

The Favourite ist ein äußerst feministischer Film, in dem mit den Rollenerwartungen an Frauen und Männern gespielt wird: Unsere Erwartungen werden verdreht oder geändert, bleiben aber in Einklang mit dem historischen Kontext. Die Männer sind beispielsweise mit ausladenen Perücken und großzügiger Schminke im Schloss anzutreffen, während die Frauen – zumindest im Gesicht – deutlicher dezenter auftreten. In einer Szene reibt Abigail Samuel (Joe Alwyn) unsanft die Schminke aus dem Gesicht, um ihn anzusehen. Sofort denkt man daran, wie ein Mann einer Frau in einem Liebesfilm gönnerisch die Schminke verwischt und etwas ähnliches sagt wie: “Die brauchst du nicht, du bist hübsch genug.” In The Favourite sind es die Frauen, die die Urteile fällen und sich aussuchen, mit wem sie verkehren. Der hübsche Toyboy Samuel, der in der gesellschaftlichen Rangordnung (zumindest auf dem Papier) deutlich über Abigail steht, sieht aus wie ein erschrockenes Reh. Und auch wenn Nicholas Hoults Robert Harley glaubt, er hätte die Oberhand über Abigail, am Ende ist es die junge Frau, die zu jeder Zeit genau weiß, was sie will.

Dies soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir es trotzalledem mit einer patriarchalischen Gesellschaft zu tun haben: Die Politiker sind ausschließlich Männer. Sarah und Abigail haben sich bloß aufgrund ihrer (auch sexuellen) Beziehung zur Königin positioniert und so Macht über die Männerwelt erlangt.

The Favourite ist der perfekte Einstieg in die Filmographie von Yorgos Lanthimos, eine Augenweide, insbesondere dank origineller Kameraarbeit, opulenter Szenenbilder und Kostüme, und eine Meisterklasse in Schauspielerei. Der Film ist wie aus einem Guss geformt und damit einer der besten des vergangenen Jahres. Ich empfehle ihn uneingeschränkt allen, die Spaß an vielschichtigen, skurrilen Dialogen und Figuren haben, oder einfach gutes Kino lieben.

7 von 7 Falken

Simon

Redakteur Moviefalcon.de, Film-, Kino-, Oscarenthusiast! Wenn nicht gerade unterwegs in einer weit entfernten Galaxis, dann sicherlich mit Mad Max auf der Fury Road oder zu Besuch im Grand Budapest Hotel.

2 Gedanken zu „Simon schaut “The Favourite” (2018)“

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