Weihnachten im Lockdown: Streaming von Filmpreiskandidaten 2020

Letztes Jahr zu dieser Zeit waren die Golden-Globe-Nominierungen schon bekannt und die Award-Season in vollem Gange. In 2020/2021 ist alles anders: Die Oscars wurden auf den 25. April 2021 verschoben, fast zwei Monate nach hinten, und viele der anderen Award-Shows haben gleichgezogen. Dadurch beginnt die Award-Season etwas verhaltener.

Dennoch findet schon jetzt eine angeregte Diskussion darüber statt, welche Filme aus diesem (verlängerten) Jahrgang wohl in den Award-Shows in den kommenden Monaten eine Rolle spielen werden, und mehr denn je sind bereits bei den verschiedenen Streaming-Anbietern im Programm. Im derzeitigen Lockdown und daheim über die Feiertage ist vielleicht genügend Zeit, um sich selbst auf den aktuellen Stand zu bringen. Dafür stellen wir sieben Filme vor und geben eine erste Einschätzung zu den Chancen auf Filmpreise in dieser Saison!

Ma Rainey’s Black Bottom – Netflix

Seit knapp einer Woche ist Ma Rainey’s Black Bottom, eine Verfilmung des gleichnamigen Theaterstücks von August Wilson aus 1982, endlich auf Netflix verfügbar. Der Film erhält in diesem Jahr aus einem tragischen Grund besonders viel Aufmerksamkeit: In Ma Rainey’s können wir zum letzten Mal den großartigen Chadwick Boseman erleben, unseren Black Panther, der im Sommer für die Öffentlichkeit völlig unerwartet an einer Krebserkrankung verstarb.

Ma Rainey’s Black Bottom erzählt von der afroamerikanischen Blues-Musikern Ma Rainey (Oscarsiegerin Viola Davis), der “Mutter des Blues”, die im Jahr 1927 mit ihrer Band eine Platte in Chicago aufnehmen will. Es kommt zu Spannungen und Machtspielchen mit den weißen Managern, aber auch innerhalb der Band. Insbesondere der impulsive Trompeter Levee (Chadwick Boseman), der sich eine ähnliche Karriere wie die von Ma Rainey ersehnt, mischt die vierköpfige Band auf.

Man merkt dem Film an, dass er auf einem Theaterstück basiert. Die Dialoge und Performances sind hervorragend, aber eben auch theatralisch und groß, und der Film spielt sich nahezu ausschließlich im und rund um das Plattenstudio ab. Der ganze Cast ist in Höchstform, allerdings sind es Chadwick Boseman und Viola Davis, die in ihren komplizierten, nicht wirklich sympathischen Rollen die Chance bekommen, so richtig zu scheinen, und die nutzen sie. Vielleicht haben wir es tatsächlich mit Bosemans bester schauspielerischer Leistung überhaupt zu tun. Er hat uns viel zu früh verlassen. Mit deutlich unter 100 Minuten ist Ma Rainey’s Black Bottom kurz, was normalerweise begrüßenswert ist, aber in diesem Fall fehlt leider eine Szene im dritten Akt, die die verschiedenen Handlungsstränge etwas sortiert und fokussierter zusammenbringt.

Kategorien, in denen mit Nominierungen und Preisen gerechnet werden darf: Bester Hauptdarsteller (Chadwick Boseman), Beste Hauptdarstellerin (Viola Davis), Bestes Kostümdesign, Bestes (adaptiertes) Drehbuch, Bestes Ensemble

Simons Falkenscore: 4,5/7

The Prom – Netflix

Ein Musicalfilm mit Meryl Streep? Das lässt aufhorchen! Allerdings ist auch James Corden mit dabei und Ryan Murphy führt Regie, zwei Warnsignale. Schließlich bewahrheiten sich leider die Befürchtungen: The Prom wird zu genau dem, was er eigentlich verdammen will, nämlich einer aufgeblähten Star-Eskapade, die den emotionalen Kern der Geschichte vernachlässigt.

Eigentlich sollte es in dieser Geschichte nämlich um einen Abschlussball irgendwo im konservativen Indiana gehen, zu dem das lesbische Teenager-Mädchen Emma Nolan (Jo Ellen Pellman) ihre Freundin mitbringen möchte, was ihr zunächst untersagt wird. Schließlich wird der Ball sogar abgeblasen. In Wahrheit dreht sich der Film aber um eine Gruppe selbstverliebter, gestriger Broadway-Größen, die sich um ihr Image sorgen und sich deshalb sozial engagieren wollen. In diesem Fall: Für die lesbische Emma und ihren Abschlussball.

Was als Musical als lustige, charmante Satire auf die Politik im Showbusiness funktionieren kann, wird hier zu einem Problem: Der Regisseur ist viel zu interessiert an den Broadway-Stars, was dazu führt, dass Emmas Szenen für das Publikum fast zu langweiligem Beiwerk verkommen. Dagegen kann auch Pellman wenig ausrichten, auch wenn sie gut spielt und singt. Die Kamera und das Publikum liebt Meryl Streep, James Corden (in einer grausam stereotypisierten Rolle eines schwulen Schauspielers) und Nicole Kidman in ihren überzeichneten Rollen. Insbesondere Meryl Streep ist wie immer magnetisch. Die Songs sind in Ordnung, insgesamt bleibt The Prom aber eine Enttäuschung. Sein Publikum wird der Film dennoch finden.

Kategorien, in denen mit Nominierungen und Preisen gerechnet werden darf: Dieser Film ist für die Golden Globes gemacht! Es wird viele Nominierungen in den Comedy/Musical-Kategorien regnen.

Simons Falkenscore: 3/7

Mank – Netflix

Für wen Quentin Tarantinos Once Upon a Time in Hollywood (2019) tendenziell zu speziell, zu zugeschnitten auf Hollywood-Insider war, für den ist David Finchers Mank definitiv nichts. Mank ist noch ein ganzes Stück weniger mainstreamfreundlich als OUATIH – aber ein ebenso brillanter Film, an dem man sich erfreuen kann, wenn man sich ein bisschen für Geschichten aus Hollywoods Golden Age interessiert.

Der alkoholkranke Drehbuchautor Herman J. Mankiewicz (Gary Oldman), der durch einen Beinbruch ans Bett gefesselt ist, diktiert seiner Sekretärin ein Drehbuch, für das er von Orson Welles verpflichtet wurde. In diesem Drehbuch verarbeitet der Autor seine Erfahrungen mit einem der mächtigsten Männer im Hintergrund Hollywoods, William Randolph Hearst. Das Drehbuch zu Citizen Kane entsteht, vielfach als bester Film aller Zeiten bezeichnet.

Wenn man Citizen Kane gesehen hat, wenn man sich für Hollywood und das Studiosystem interessiert, wenn man gewillt ist, im Nachhinein ein paar der gefallenen Namen zu googlen, dann ist Mank eine große Bereicherung. Auf technischer Seite gibt es hier keinen einzigen Makel. Der Film ist grandios fotografiert (Erik Messerschmidt kann sich vorsichtig auf einen Oscar einstellen), ausgestattet und vertont. Das Drehbuch, geschrieben von Jack Fincher, Vater des Regisseurs, ist aber nicht so zugänglich, wie es sich einige vielleicht wünschen würden. Letztendlich ist dieser Film für diejenigen, die sich für die Geschichte Hollywoods interessieren, und das ist in Ordnung. Nicht jeder Film muss alle gleichermaßen ansprechen. Viel zu bewundern gibt es hier auf jeden Fall.

Kategorien, in denen mit Nominierungen und Preisen gerechnet werden darf: Mank ist ein echter Allrounder, man darf viele Nominierungen erwarten! Bester Film, Beste Regie, Bester Hauptdarsteller (Gary Oldman), Beste Nebendarstellerin (Amanda Seyfried), Bestes Drehbuch, Beste Kamera, Bester Ton, Beste Filmmusik, Beste Kostüme, Bestes Szenenbild

Simons Falkenscore: 6/7

Hillbilly Elegy – Netflix

Hillbilly Elegy ist ein Drama von Regisseur Ron Howard (A Beautiful Mind, 2001; Apollo 13, 1995) über die amerikanische Unterschicht. Zwei der besten Schauspielerinnen unserer Zeit sind mit am Start, nämlich Amy Adams und Glenn Close.

J.D. (Gabriel Basso) hat es nicht leicht. Er studiert zwar in Yale, hat aber drei Jobs, um sich zu finanzieren. Seine Familie kann ihn nicht unterstützen. Als seine Schwester ihn anruft, weil seine Mutter Bev (Amy Adams) aufgrund einer Heroin-Überdosis in ein Krankenhaus eingeliefert wurde, macht er sich auf den Weg zurück nach Ohio, obwohl in Yale wichtige Jobinterviews anstehen. Traumatische Familienerinnerungen werden wach.

Leider funktioniert der Film über weite Strecken aufgrund des schwachen Drehbuchs überhaupt nicht, sondern dreht sich im Kreis. Das Ende steuert zwar etwas gegen, fühlt sich aber unverdient an. Da helfen auch die Stars nicht: Glenn Close und Amy Adams haben zum jetzigen Zeitpunkt sieben bzw. sechs Oscarnominierungen, beide bisher ohne Sieg. Auf dem Papier hört sich Hillbilly Elegy nach einem hervorragenden Oscar-Vehikel an: Adams kann sich als drogensüchtige Mutter mit einem schwierigen Verhältnis zu ihren Kindern richtig verausgaben, Close spielt die Oma mit der harten Schale und dem weichen Kern, den emotionalen Fixpunkt des Protagonisten. Die Realität sieht leider anders aus: Adams muss immer und immer wieder bis zur Unerträglichkeit die gleiche Art Szenen spielen, die Performance von Close ist unter viel zu viel Make-up vergraben. Es wäre traurig, wenn die großartige Glenn Close für diese Rolle einen „Make-up-Oscar“ erhalten würde (bei Adams halten wir es für völlig ausgeschlossen), aber möglich ist alles, denn manchmal ist mehr einfach mehr.

Kategorien, in denen mit Nominierungen und Preisen gerechnet werden darf: Beste Nebendarstellerin (Glenn Close)

Simons Falkenscore: 2/7

Sound of Metal – Amazon Prime

Wie verändert sich mein Leben, wenn ich mein Gehör verliere? Dieser Frage geht Regisseur und Drehbuchautor Darius Marder in seinem Film Sound of Metal nach. Noch ist der Film ein Geheimtipp, hoffentlich aber nicht mehr lange.

Drummer Ruben (Riz Ahmed) spielt mit seiner Freundin Lou (Olivia Cooke) Metal in verschiedenen Clubs. Während er auf einen Soundcheck wartet merkt er plötzlich, wie sein Gehör stark nachlässt. In einer Wohngemeinschaft gehörloser Menschen auf dem Land unter der Leitung von Joe (Paul Raci) lernt Ruben den Umgang mit seinen neuen Lebensumständen.

Sound of Metal gewährt mit so viel Liebe und Einfühlungsvermögen Einblicke in eine Welt, von der sich viele bestimmt nicht bewusst sind, dass es sie gibt. Nur die besten Filme schaffen es, eine solche Atmosphäre zu erzeugen, dass man sich wünscht, ein Teil dieser Gemeinschaft dort auf dem Bildschirm zu sein. Sound of Metal ist so ein Film, in dem aus manchen Szenen ganz, ganz viel Lebensfreude herausschwappt und die einem mehr als nur ein Lächeln auf das Gesicht zaubern, sondern einen emotional mitreißen. Umso heftiger reagiert man natürlich auf manche Entscheidungen, die Ruben trifft.

Gleichzeitig nutzt Sound of Metal Ton auf einzigartige Weise, um Rubens Situation zu veranschaulichen. Aus dem Cast ist neben Riz Ahmed in der Hauptrolle besonders Paul Raci als Joe herauszuheben, der die Seele und das Motto des Films verkörpert und auch ausdrückt. Damit erfüllt er nicht nur für Ruben, sondern auch für uns die Funktion eines Ankers. Über das Ende dürfen natürlich nicht zu viele Worte verloren werden, vielleicht aber das: Es lässt einen nicht los. Großartiges Kino für den Jahreswechsel!

Kategorien, in denen mit Nominierungen und Preisen gerechnet werden darf: Bester Hauptdarsteller (Riz Ahmed), Bester Nebendarsteller (Paul Raci), Bester Ton

Simons Falkenscore: 6,5/7

Wolfwalkers – Apple TV+

Wolfwalkers ist der bisher beste Animationsfilm des irischen Animationsstudios Cartoon Saloon und von Regisseur Tomm Moore, der für Brendan und das Geheimnis von Kells (2009) und Die Melodie des Meeres (2014) schon zwei Mal für den Oscar für den besten Animationsfilm nominiert war. Mit Wolfwalkers wird das ein drittes Mal gelingen, und das sehr verdient.

Irland, 1650: Robyn möchte so wie ihr Vater Wolfsjägerin werden und die armen Bauern vor den Stadtmauern vor den grauen Bestien beschützen. Unglückliche Umstände, an denen sie nicht ganz unschuldig ist, lassen sie allerdings in Kontakt mit den Wölfen im Wald kommen – und mit Mebh, die sich in einen Wolf verwandelt, wenn sie schläft. Es entwickelt sich eine Freundschaft, die Robyns Weltbild auf den Kopf stellt.

Dieser kleine Überblick lässt eine konventionelle Erzählung vermuten, und das ist nicht ganz falsch. Mit Wolfwalkers erfindet das Studio in narrativer Hinsicht sicher nicht das Rad neu, aber das ist auch nicht notwendig. Stattdessen besticht der Film durch sein Tempo, viele Irrungen und Wirrungen auf dem Weg zur Auflösung, und natürlich ganz besonders durch seine tadellosen, faszinierenden Animationen. Wer andere Filme des Studios kennt, der weiß um den geometrischen Stil, der auch in Wolfwalkers gepflegt wird und der mit der irischen Folklore Hand in Hand geht. So stimmig wie in Wolfwalkers ist das aber bisher nicht gelungen. Besonders großartig sind die Sequenzen, in denen der Film die Geschwindigkeit erhöht, zum Beispiel bei der Jagd durch den Wald. Wolfwalkers ist mitreißend und wunderschön anzusehen, ein Kunstwerk in jeder Einstellung.

Kategorien, in denen mit Nominierungen und Preisen gerechnet werden darf: Bester Animationsfilm

Simons Falkenscore: 6,5/7

Soul – Disney+

Ab dem 25. Dezember 2020 startet außerdem Soul auf Disney+, nach Onward der zweite Pixar-Animationsfilm des Jahres, und schon jetzt großer Favorit auf den Oscar für den besten Animationsfilm. Die ersten Reaktionen auf den Film waren überwältigend positiv und zählen Soul zu den besten Filmen des Studios. Wir dürfen also alle gespannt sein!

Abschluss und Wünsche

Mit diesen Filmen dürfte es zwischen den Feiertagen sicherlich nicht langweilig werden! Wir freuen uns über Reaktionen und eigene Einschätzungen der Filme, gerne per E-Mail oder in Kommentaren unten.

Das Moviefalcon.de-Team wünscht schöne, gemütliche Feiertage und einen guten Rutsch in das neue Jahr 2021 mit vielen großartigen Filmerinnerungen!

Simon

Redakteur Moviefalcon.de, Film-, Kino-, Oscarenthusiast! Wenn nicht gerade unterwegs in einer weit entfernten Galaxis, dann sicherlich mit Mad Max auf der Fury Road oder zu Besuch im Grand Budapest Hotel.

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