Simon schaut “Once Upon a Time in Hollywood” (2019)

Quentin Tarantinos persönlichster Film? Once Upon a Time in Hollywood ist der Liebesbrief des Kultregisseurs an eine vergangene Zeit in der Filmindustrie. Tarantino nutzt zwar viele der für ihn typischen stilistischen Merkmale, aber das Produkt ist der wohl am wenigsten mainstreamfähige Film seines Œuvres. Wer Action, Rachegeschichten und einen prominenten Soundtrack erwartet, sollte besser zuhause bleiben. Wer an Geschichten aus Hollywood interessiert ist, Filme mit langsamerem Tempo mag und im Kino echte, originelle Überraschung erleben möchte, sollte sich Once Upon a Time in Hollywood auf jeden Fall ansehen.

Simons Highlights

  • Tarantinos enge Beziehung zum und Bewunderung für das Hollywood der 60er Jahre machen Once Upon a Time in Hollywood zu seinem vielleicht persönlichsten Film und beeinflussen jede künstlerische Entscheidung
  • Leonardo DiCaprio als Rick Dalton, Brad Pitt als Cliff Booth, Margot Robbie als Sharon Tate, Margaret Qualley, Julia Butters und Al Pacino in ihren Nebenrollen als Scene-Stealer
  • Rick Dalton schauspielert mit Trudi Fraser
  • Sharon Tate im Kino
  • … und eigentliche jede Szene mit Brad Pitts Cliff Booth – bald vielleicht Best Supporting Actor 2019?

Worum es geht

Hollywood, 1969: Rick Dalton (Leonardo DiCaprio) ist ein TV-Actionstar vergangener Tage. Sein Wechsel zum Film hat nicht funktioniert. Nun wird er nicht mehr als “Leading Man” gecastet, sondern dreht einen Pilot nach dem nächsten, ergattert fast ausschließlich Rollen als Bösewicht für wenige Folgen, was ihn in eine Sinnkrise wirft. Sein Stunt-Double, Angestellter und bester Freund Cliff Booth (Brad Pitt) nimmt die Situation lockerer als Rick. Cliff lebt ein wenig glamouröses Leben in einem Wohnwagen mit seinem Pitbull Brandy, während Dalton ein schickes Anwesen am Cielo Drive bewohnt. Nebenan sind gerade die Polanskis eingezogen: Der angesagteste Regisseur der Zeit, Roman Polanski, und seine bildhübsche Frau Sharon Tate. Rick träumt davon, eines Tages seine Nachbarn zu treffen, und so doch noch seine Karriere zu retten…

Simons Kritik

Bei wenigen Regisseuren reicht heutzutage der Name alleine, um ein Publikum ins Kino zu locken. Noch viel weniger haben mit ihren Filmen einen eigenen Stil entwickelt, der bestimmte Erwartungen weckt. Was wäre ein Christopher Nolan-Film ohne Twist?

Quentin Tarantino hat die letzten drei Jahrzehnte geprägt wie vielleicht kein anderer Regisseur. Vor einigen Wochen habe ich versucht, seine Filme nach persönlicher Präferenz zu sortieren – ein Ding der Unmöglichkeit, hat er doch bis dato keinen schlechten Film gemacht und uns stattdessen gleich mehrere zeitlose Klassiker wie Pulp Fiction (1994) und Kill Bill (2003) geschenkt. Tarantino hält sich an wenige Konventionen, sondern geht immer wieder unbekannte Wege, insbesondere in Hinblick auf die Struktur seiner Filme. Spätestens seit den finanziell äußerst erfolgreichen Inglourious Basterds (2009) und Django Unchained (2012), die allerdings beide recht linear erzählt sind, hat ein größeres Publikum Tarantino für sich entdeckt – und bestimmte Erwartungen aufgebaut, die Tarantino mit seinem Kammerspiel The Hateful Eight (2015) bereits nur teilweise befriedigen konnte, da er sich selbst treu bleibt.

Das mit den Erwartungen kann zu einem Problem werden, wenn man an ihnen festhält, nicht loslässt, und dadurch der Vision des Kunstschaffenden nicht folgen kann, weil er oder sie meistens nunmal nicht diese eigene Vision umsetzt. Ich befürchte, dass die Erwartungen von vielen an Once Upon a Time in Hollywood wenig Schnittmenge mit dem haben, was Tarantino behandelt und anbietet. Die Diskussion hat schon begonnen: Ist Once Upon a Time in Hollywood ein Tarantino-Film? Macht es den Film besser oder schlechter, weil er bestimmte Merkmale nicht (bzw. weniger) aufweist als Tarantinos andere Filme?

Mein Vorschlag: Erwartungen an Once Upon a Time in Hollywood sollten gegen Popkorn oder Schokolade eingetauscht und im Foyer des Kinos gelassen werden. Once Upon a Time in Hollywood ist ein großartiger Film über das Ende einer Zeit in Hollywood, die Tarantino ganz offensichtlich liebt. Allerdings funktioniert der Film auch besonders für diejenigen, die ein bisschen etwas mit dieser Zeit und den realen Geschehnissen rund um Sharon Tate anfangen können. Wie bereits in anderen Filmen verwebt Tarantino fiktive Charaktere in reale Geschehnisse und schafft so sein eigenes Märchen.

Dabei sind die behandelten Themen vielseitig, erschließen sich erst langsam gegen Ende. Tarantinos zwei Hauptfiguren, Rick und Cliff, sind vollständig realisiert, und Leonardo DiCaprio und Brad Pitt werden hoffentlich während der Award-Season im Gespräch sein und an der einen oder anderen Stelle auftauchen. Ihre Charaktere sind so lebendig, dass man am liebsten noch länger mit ihnen durch die Straßen von L.A. fahren, noch mehr Zeit mit ihnen verbringen würde, dabei ist der Film schon fast drei Stunden lang!

Überzeugend einen Schauspieler zu spielen, der gute und schlechte Tage hat, ist ganz große Kunst. Bei DiCaprio sieht es leicht aus, und darüber hinaus verleiht er seinem Rick Dalton noch ganz dezent Verhaltensweisen, die alleine bereits ein mehrmaliges Anschauen des Films rechtfertigen. Seine Szenen mit der zehnjährigen Julia Butters sind ein weiteres Highlight: DiCaprio spielt Ricks emotionale Seite aus, und Butters hält hervorragend dagegen.

Cliff ist Hollywoods Django, man kann ihn nur mögen, auch wenn seine Figur durchaus Dinge getan hat, die moralisch mehr als fragwürdig sind. Egal, ob Cliff Ricks Antenne repariert, sich mit Bruce Lee prügelt oder seinem Hund Brandy das Abendessen zubereitet: Brad Pitt ist ein Filmstar, man kann seine Augen nicht von ihm abwenden.

Während Ricks Stern langsam untergeht, steigt der von Sharon Tate, “Hollywoods Unschuld”, auf. In einer Szene begleiten wir Margot Robbie als Sharon ins Kino in einen eigenen Film, eine niedliche Szene, in der sich Sharon darüber freut, wie das Publikum auf sie reagiert. Tarantino schafft ohne viele Worte oder große Gesten ein liebevolles Portrait der viel zu jung verstorbenen Frau.

Der dritte Akt zieht deutlich an. Angespannt, mit düsterer Vorahnung sitzt man im Kino, während sich die Geschehnisse vor einem ausbreiten, sich die Sequenzen langsam verbinden und zum großen Finale ansetzen. Dabei übertrifft sich Tarantino wieder einmal selbst – und ich musste an der einen oder anderen Stelle kurz wegsehen (oder mich an Veri festkrallen).

Ein großartiges Drehbuch mit ikonischen Figuren, ein Erzähler, der Glanz von einem vergangenen Hollywood, Western-Anekdoten und Showdowns, ein paar kurze Zeitsprünge, Star-Power, ein blutrünstiges Finale – eigentlich bleibt sich Tarantino auch in Once Upon a Time in Hollywood treu, aber er setzt seine Markenzeichen auf neue Art und Weise zusammen und überrascht uns so einmal mehr. Leider sehen wir momentan viel zu selten solche völlig originellen Filme auf der großen Leinwand, von daher: Auf ins Kino, Cineasten!

6.5 von 7 Falken

Simon

Redakteur Moviefalcon.de, Film-, Kino-, Oscarenthusiast! Wenn nicht gerade unterwegs in einer weit entfernten Galaxis, dann sicherlich mit Mad Max auf der Fury Road oder zu Besuch im Grand Budapest Hotel.

3 Gedanken zu „Simon schaut “Once Upon a Time in Hollywood” (2019)“

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