Die besten Independent-Filme des Jahres 2018 – Film Independent Spirit Awards

Eighth Grade, First Reformed, If Beale Street Could Talk, Leave No Trace und You Were Never Really Here: Hast Du von diesen fünf Filmen gehört? Es sind die Anwärter auf den “Film Independent Spirit Award” für den besten Film 2018. Ich stelle euch diese fünf hervorragenden Indies kurz vor, die bei der diesjährigen Oscar-Verleihung keine prominente Rolle spielen werden.

Sogenannte Independent-Filme (Indies) sind Filme mit normalerweise kleineren Budgets, die außerhalb des Studiosystems produziert werden. Die Film Independent Spirit Awards feiern solche kleineren Produktionen bereits seit über 30 Jahren. Seit der Award-Season 2009/2010 war der Sieger des Film Independent Spirit Awards für den besten Film in jedem Jahr auch für den Oscar für den besten Film nominiert und hat sogar fünf Mal beide Preise gewonnen (The Artist, 12 Years a Slave, Birdman, Spotlight und Moonlight). Viele weitere Filme waren für beide nominiert.

Bei den diesjährigen Spirit Awards 2019 am 23. Februar wird das anders sein. Es gibt dieses Mal keine Überschneidungen zwischen Academy und Spirit Awards. Woran liegt es? Es gibt sicherlich eine ganze Reihe von Gründen, einer liegt in den Regularien der Spirit Awards selbst. Für die Kategorie des besten Films kommen nur amerikanische Produktionen in Frage, es gibt separat eine Kategorie für den besten internationalen Independent-Film. Gab es im vergangenen Jahr also keine Oscar-würdigen amerikanischen Indies?

Nein. Eine weitere Begründung liegt sicher darin, dass im Jahr 2018 vor allem die mächtigen Studios mit ihren Filmen die Schlagzeilen beherrscht haben. Es ist kein Wunder, dass viele Indie-Filme in einem Jahr ausgeschlossen werden, in dem mit Black Panther der erste Superheldenfilm für den wichtigsten Oscar nominiert wird, und in dem die Oscar-nominierten Filme dank Zugpferden wie A Star Is Born und Bohemian Rhapsody Rekordeinnahmen aufweisen. Die amerikanischen Studiofilme waren in 2018 sehr erfolgreich und können sich selbstverständlich teurere Kampagnen leisten als Independent-Produktionen. Umso wichtiger ist es, dass Indie-Filme eine Plattform wie die Film Independent Spirit Awards haben. Vielleicht tut es der Independent-Szene auch ganz gut, einmal nicht den Oscar-Sieger vorhersagen zu müssen.

Blicken wir auf die fünf Filme, die sich Hoffnung auf den wichtigsten Indie-Preis machen dürfen. Was ihre Qualität angeht bilden sie meiner Ansicht nach eine deutlich homogenere Gruppe als die acht Oscar-Kandidaten. Alle fünf Indies sind gut bis hervorragend und ich kann sie ohne Einschränkung empfehlen.

Eighth Grade – 6.5/7

Bei den Film Independent Spirit Awards nominiert für: Bester Film, Bestes Drehbuchdebüt, Beste Hauptdarstellerin (Elsie Fisher), Bester Nebendarsteller (Josh Hamilton)

In Bo Burnhams Erstlingswerk Eighth Grade begleiten wir Kayla (großartig gespielt von Elsie Fisher) durch die letzte Woche der achten Klasse. Die sozialängstliche Kayla hat es schwer, Freunde zu finden, ist ständig in sozialen Netzwerken unterwegs und vergleicht sich zu viel mit ihren Mitschüler*innen. Ihr Vater (Josh Hamilton in einer herzerwärmenden Nebenrolle) nervt sie tierisch. Alles wird noch viel schlimmer, als sie von ihrem Jahrgang mit dem “Most Quiet”-Award (Preis für die leisesten Schülerin) ausgezeichnet und zu einer Pool-Party eingeladen wird.

Regisseur Bo Burnham, der auch das Drehbuch geschrieben hat, erzählt Kaylas Geschichte mit viel Feingefühl. Er bringt sie gekonnt in Situationen, in denen wir uns ohne größere Probleme in ihr Unbehagen hineinversetzen können und peinlich berührt sind. Trotzdem hatte ich dauernd ein breites Grinsen auf dem Gesicht. Elsie Fisher müssen wir im Auge behalten, sie ist eine echt Entdeckung. “Gucci!”

Der Film endet mit einigen der besten Szenen, die ich in diesem Jahr gesehen habe, eine traurig-schön, die andere komisch, beide wunderbar. Jede*r kann etwas aus diesem Film mitnehmen: Wir haben alle mal schwere Zeiten, sind vielleicht nicht zufrieden mit uns, aber das definiert nicht, wer wir sind.

First Reformed – 6/7

Bei den Film Independent Spirit Awards nominiert für: Bester Film, Beste Regie, Bestes Drehbuch, Bester Hauptdarsteller (Ethan Hawke)

An First Reformed ist nichts Mainstream! Der Priester Ernst Toller (Ethan Hawke mit einer Oscarwürdigen Performance – nicht nominiert…) betreut zwar nur eine kleine Gemeinde, aber seine Kirche hat historische Bedeutung, da sie als Teil der Underground Railroad als Versteck für geflohene Sklaven diente. Dementsprechend kommen ab und an Touristen vorbei und besichtigen die weiße Holzkirche. Darüber hinaus feiert sie bald ihr 250-jähriges Jubiläum. Eines Tages wird Reverend Toller von Gemeindemitglied Mary gebeten, mit deren Mann Michael zu reden. Umweltaktivist Michael möchte ihr ungeborenes Kind abtreiben, denn er kann es nicht mit sich vereinbaren, Leben in diese dem Untergang geweihte Welt zu bringen. Das Treffen mit Michael löst in Toller, der selbst von körperlichen Beschwerden geplagt wird, einen Kampf mit dem eigenen Glauben aus.

Ich gebe es zu: Diese kurze Beschreibung der ersten paar Minuten des Films hören sich nach einem Drama rund um den christlichen Glauben an, was einige vielleicht etwas abschreckt. Glaube, Wissenschaft und Umweltthemen werden von Schrader jedoch so geschickt miteinander verwoben, dass sie für alle Zuschauer*innen zugänglich werden. First Reformed ist stellenweise ein Thriller, in den ich vollständig eingetaucht bin, eine intime Charakterstudie mit einer Powerhouse-Performance im Zentrum. Ethan Hawke, was soll ich sagen: Er liefert hier meiner Meinung nach die beste Performance seiner Karriere – und ich liebe Boyhood (2014) und die Before-Trilogie (1995, 2004, 2013).

Sobald Du diesen Film gesehen hast, möchte ich gerne mit Dir über DAS Ende sprechen! Crazy Sh*t!

If Beale Street Could Talk – 5.5/7

Bei den Film Independent Spirit Awards nominiert für: Bester Film, Beste Regie, Beste Nebendarstellerin (Regina King)

Barry Jenkins Moonlight (2016)-Follow-up If Beale Street Could Talk basiert auf dem gleichnamigen Roman von James Baldwin und erzählt die Geschichte von Tish (KiKi Layne) und Fonny (Stephan James), einem Liebespaar in Harlem in den 70ern. Fonny wird fälschlicherweise beschuldigt, eine Frau vergewaltigt zu haben. Die schwangere Tish versucht mit der Hilfe ihrer Familie Fonnys Unschuld zu beweisen.

Der Film behandelt Erlebnisse der schwarzen Community mit der Polizei und fühlt sich auch deshalb sehr zeitgerecht an, funktioniert aber vor allem als emotionale Liebesgeschichte entgegen aller Widersprüche. Layne und James verzaubern das Publikum. Der romantische Soundtrack von Nicholas Britell ist einer der besten des Jahres und zurecht für den Oscar nominiert.

Das Ende hat mich nicht so sehr angesprochen wie der Rest des Films. Die finale Entscheidung einer Hauptfigur hätte meiner Meinung nach etwas mehr unterfüttert werden müssen. Dennoch ist If Beale Street Could Talk ein wunderschöner Film und erhält ohne Frage eine Empfehlung, am besten auf der großen Leinwand, auf der die warmen Farben (Kamera: James Laxton) so richtig zur Geltung kommen.

Leave No Trace – 6.5/7

Bei den Film Independent Spirit Awards nominiert für: Bester Film, Beste Regie, Beste Nebendarstellerin (Thomasin Harcourt McKenzie)

Kriegsveteran Will (Ben Foster in einer introvertierten Rolle) und seine Tochter Tom (Thomasin McKenzie in keiner Neben- sondern der Hauptrolle des Films) dürfen keine Spuren hinterlassen. Sie leben unbemerkt in den Wäldern von Portland. Eines Tages ist Tom unaufmerksam und wird von einem Jogger gesehen, der die Behörden informiert. Will und Tom sollen sich in die Gesellschaft integrieren, was Tom besser gelingt als ihrem Vater.

Basierend auf dem Roman My Abandonment (2009) von Peter Rock behandelt Regisseurin Debra Granik in dem hervorragenden Coming-of-Age-Drama Themen wie die Loslösung von unseren Eltern, das Spannungsverhältnis zwischen Natur und Zivilisation und die Auswirkungen psychischer Erkrankungen auf unsere Liebsten. Ich bewundere den Film und Graniks Arbeit insbesondere für die Vorurteilsfreiheit, mit der sie Will, Tom und ihre Erfahrungen darstellt. Pro und Kontra werden ohne “die eine richtige Antwort” gegeneinander abgewogen, Kompromisse gefunden. Granik erzählt nicht bloß: Sie zeigt, was Will und Tom passiert.

Abgerundet wird Leave No Trace durch wunderschöne Naturaufnahmen von Michael McDonough – so viel Grün habe ich schon lange nicht mehr in einem Film gesehen – und einen unaufdringlichen Score von Dickon Hinchliffe.

You Were Never Really Here – 6.5/7

Bei den Film Independent Spirit Awards nominiert für: Bester Film, Beste Regie, Bester Hauptdarsteller (Joaquin Phoenix), Bester Schnitt

Der unter dem Titel A Beautiful Day in Deutschland vermarktete Film von Regisseurin Lynne Ramsay erzählt von Kriegsveteran Joe (Joaquin Phoenix), einem Auftragsschläger, der junge Mädchen befreit und mit einem Hammer bewaffnet Kinderschänder umbringt. Damit befindet er sich in einem gefährlichen Geschäft: Was, wenn ein Auftrag schief geht… ?

Bei einem Typen wie Joe wechselt man lieber die Straßenseite. Dieses Bild haben wir schnell von dem Charakter, den Joaquin Phoenix atemberaubend spielt. Man kann seine Augen nicht von ihm abwenden, es ist eine seiner besten darstellerischen Leistungen – und das heißt einiges bei seiner Filmographie.

Ramsay lässt nicht über Joe erzählen, sondern zeigt uns sein Leben. Je mehr wir über Joe erfahren, desto besser verstehen wir ihn; Man schlägt sich schnell auf seine Seite, so brutal diese auch sein mag. Ramsay und Phoenix konterkarieren Joes raues Äußeres mit seiner Introvertiertheit und seiner Funktion als Hüter und Beschützer: ein Schaf im Wolfspelz. Eine meiner Lieblingsszenen des Jahres involviert Joe und eine andere Figur, wie sie sich an den Händen halten. Ihr werdet wissen, was ich meine.

Ramsays Film einem Genre zuzuordnen ist schwierig. Arthouse-Thriller trifft es meiner Ansicht nach sehr gut. Ramsay hat eine klare Vision: Wenig Gewalt findet direkt auf dem Bildschirm statt, und trotzdem möchte man an vielen Stellen wegschauen, hat Angst vor der Brutalität, die Joes Welt durchzieht. You Were Never Really Here ist ein viszerales Erlebnis, das mich von Anfang bis Ende gepackt hat.

Schlusswort

In Deutschland hört man von diesen Filmen erst sehr spät – oder überhaupt nicht. Wer auf der Suche nach wahren Schätzen ist, der sollte die Spirit Awards im Auge behalten. Weitere nominierte Filme, die mir besonders gefallen haben, sind unter anderem We the Animals, Private Life, The Tale, Sorry to Bother You, Can You Ever Forgive Me? und Support the Girls (Dokumentationen und internationale Filme außen vor). Hast Du einen der hier genannten Filme gesehen und Gesprächsbedarf? Schreibe mir gerne bei Twitter oder unter diesem Artikel!

Simon

Redakteur Moviefalcon.de, Film-, Kino-, Oscarenthusiast! Wenn nicht gerade unterwegs in einer weit entfernten Galaxis, dann sicherlich mit Mad Max auf der Fury Road oder zu Besuch im Grand Budapest Hotel.

2 Gedanken zu „Die besten Independent-Filme des Jahres 2018 – Film Independent Spirit Awards“

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