Simon schaut “Auslöschung” (Annihilation; 2018)

Bedrückend, gruselig, faszinierend. Mit Auslöschung widmet sich Regisseur und Drehbuchautor Alex Garland in seinem zweiten Film ein zweites Mal dem Science-Fiction-Genre. Auslöschung ist mindestens ebenso spannend wie Ex Machina, aber noch deutlich düsterer. In Deutschland ist der Film leider nur via Netflix zugänglich. Eine große Leinwand hätte den Szenenbildern gut gestanden, die meine Augen an Lenas Reise in den Schimmer gefesselt haben.

Simons Highlights

  • die bedrückende Atmosphäre, die Garland und sein Schauspielerinnenensemble heraufbeschwören
  • einmalige Szenenbilder, von denen mich insbesondere eines weiterhin in meinen (Alb-)Träumen verfolgt
  • ein mutiges Ende – nichts anderes hätte ich von Alex Garland erwartet!

Worum es geht

Ein ganzes Jahr lang hat Mikrobiologin Lena (Natalie Portman) keine Nachricht von ihrem Ehemann Kane (Oscar Isaac) erhalten. Sie ist seitdem wie gelähmt, kann die Realität nicht akzeptieren. Auf einmal steht er im Türrahmen. Die Wiedersehensfreude währt jedoch nur kurz: Kane hat keine Erinnerungen, leidet an schweren inneren Verletzungen und wird sterben. Auf dem Weg zum Krankenhaus wird der Krankenwagen von einer Spezialeinheit abgefangen. Lena findet sich in einer militärischen Einrichtung wieder und erfährt, dass Kane die mysteriöse Area X, auch Schimmer genannt, betreten hat. Der Schimmer umgibt einen Leuchtturm, breitet sich langsam weiter und weiter aus und könnte sich im Laufe der Zeit die komplette Erde einverleiben. Kane ist bisher der einzige Teilnehmer von elf Expeditionsteams, der den Schimmer lebend verlassen hat. Aus Verzweiflung und Neugierde schließt sich Lena einer Gruppe Wissenschaftlerinnen an, die Area X als zwölftes Team betreten.

Simons Kritik

Sofort als ich hörte, dass Alex Garland an einem weiteren Science-Fiction-Film arbeitete, war ich an Bord. Garlands Erstlingswerk, Ex Machina, war einer meiner Lieblingsfilme des Jahres 2015, und hält bis heute einen besonderen Platz in meinem Herz. Das Drehbuch zu Auslöschung hat Garland selbst geschrieben, es ist eine Adaption des gleichnamigen Romans von Jeff VanderMeer. Neben Oscar Isaac, der schon in Ex Machina mitgespielt hat, konnte Garland Oscar-Preisträgerin Natalie Portman (Black Swan, 2010) verpflichten. Isaac spielt Kane, den verschwundenen Ehemann von Portmans Lena. Lena steht im Mittelpunkt der Geschichte und ist in fast jeder Einstellung zu sehen. Sie trägt erheblich dazu bei, dass wir die seltsame Geschichte rund um einen mysteriösen “Seifenblasenvorhang” auf der Erde nicht nur akzeptieren, sondern die Bilder aus dem Schimmer uns ebenso verfolgen wie die Protagonistinnen.

Hatte ich erwähnt, dass ich keine Horrorfilme schaue? Auslöschung kam für mich stellenweise enorm nah dran. Gruselig! Wer hätte gedacht, dass eine Bärenszene noch spannender sein kann als in The Revenant (2015)? In diesem Zusammenhang ist die schauspielerische Leistung von Gina Rodriguez als Anya Thorensen hervorzuheben, die das Konzept ihrer Figur hervorragend umgesetzt hat. Neben Anya und Lena gehören Gruppenleiterin Dr. Ventress (Jennifer Jason Leigh), Cass Sheppard (Tuva Novotny) und Josie Radek (Tessa Thompson) zum Team der Wissenschaftlerinnen, die sich in den Schimmer wagen. Kleine Abzüge gibt es für Tessa Thompsons Josie, die für mich in Drehbuch und Darstellung zu kurz gekommen ist und im Vergleich zu den anderen Frauen nicht wirklich interessant war.

Die Horrorelemente haben selbstverständlich dazu beigetragen, dass mich der Film völlig gebannt hat. Aber Auslöschung ist so viel mehr: Stellenweise ist der Film wie ein geerdeter, surrealistischer Traum. Das klingt zunächst unlogisch, aber die fantastischen Bilder von Kristallbäumen am menschenlosen Strand sind so echt wie Natalie Portmans Lena. Man fühlt sich dem Film und seiner Realität ausgeliefert.

Die Schrecken der Natur in Area X halten sich die Waage mit bildhübschen Einstellungen von wundersamen Gewächsen. Der Film fasziniert auf vielen Ebenen und spricht fast alle Sinne an. Auslöschung ist allerdings im Kern ein bedrückender, deprimierender Film mit Subtext über Selbstverletzung und psychische Erkrankungen. Man blickt in hoffnungslose, abwesende Augenpaare und fragt sich: Wie kann ein Mensch freiwillig den Schimmer betreten, wenn er doch weiß, dass die allermeisten verschwinden? Garland bearbeitet mögliche Antworten auf diese Frage.

Leider wurde der Film in Deutschland nur auf Netflix veröffentlicht, nachdem es am Ende der Produktion zu Unstimmigkeiten zwischen den Produktionsfirmen kam. Der Film wurde von der einen Seite für seine Komplexität und seinen Intellekt kritisiert, von der anderen Seite verteidigt. Die Einwände kann ich nur anteilig verstehen. Das Kinopublikum ist nicht blöd; Auslöschung ist nicht wesentlich komplexer als Denis Villeneuves Arrival (2016) oder – wie bereits mehrfach erwähnt – Ex Machina. Der Film funktioniert meiner Ansicht nach auch, wenn man sich keine Gedanken über die tiefere Bedeutung der Handlung macht. Wird er allen Menschen gefallen? Sicherlich nicht, insbesondere das außergewöhnliche Finale polarisiert.

Am Ende konnte sich Garlands Fassung durchsetzen, allerdings vermutlich zu dem Preis, dass wir Auslöschung nun international nicht auf größeren Leinwänden erleben dürfen. Dabei wäre der Film dort genau richtig. Schade. Wenn das jedoch der einzige Weg war, um Garlands Originalfassung und keine übervorsichtige, abgeschwächte Studiovariante von Auslöschung realisiert zu bekommen, dann bezahle ich diesen Preis.

6 von 7 Falken

Simon

Redakteur Moviefalcon.de, Film-, Kino-, Oscarenthusiast! Wenn nicht gerade unterwegs in einer weit entfernten Galaxis, dann sicherlich mit Mad Max auf der Fury Road oder zu Besuch im Grand Budapest Hotel.

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