Simon schaut “Son of Saul” (2015)

“Saul fia”, Holocaust-Drama aus Ungarn. Wir erleben eine Episode der Geschehnisse im Konzentrationslager Auschwitz aus der Perspektive von Saul, Mitglied des Sonderkommandos. Ein grausamer, wichtiger Film, handwerklich außergewöhnlich, der jedoch mehr von der erzeugten Atmosphäre des Schreckens und der Idee der Umsetzung lebt als von seiner Handlung.

Was mir nach dem Kinobesuch noch lange im Gedächtnis blieb…*

  • die schockierenden Szenen in den Gaskammern
  • die Leistung von Géza Röhrig als Saul “Ausländer”

Worum es geht

Der Ungar Saul (Géza Röhrig) ist Mitglied des Sonderkommandos im Konzentrationslager Auschwitz, das heißt: Er ist selbst Gefangener, arbeitet aber für die Nazis im Lager in den Gaskammern. Seine Aufgabe ist es (u.a.), die leblosen Körper der Opfer zu den Öfen zu befördern und ihre Kleidung nach wertvollen Habseligkeiten zu durchsuchen. Eines Tages findet er unter den vergasten Menschen einen Überlebenden, einen Jungen, der kurz darauf verstirbt. Saul betrachtet ihn fortan als seinen Sohn und möchte ihn begraben. Dafür benötigt er jedoch einen Rabbiner…

Simons Kritik

Ich wusste, worauf ich mich einließ, als ich einen meiner schwedischen Mitbewohner fragte, ob wir uns den Film gemeinsam ansehen möchten. Und wie erwartet verließ ich das Kino mit einem sehr, sehr schlechten Gefühl in Magengegend. Es ist unglaublich und unverzeihlich, was die Deutschen anderen Menschen – Minderheiten, die etwas anders waren als sie selbst – in den Konzentrationslagern während des zweiten Weltkriegs angetan haben. Manche fragen sich vielleicht: Brauchen wir noch mehr solche Filme? Meine Antwort darauf ist ein eindeutiges “ja”. Diese Verbrechen dürfen niemals vergessen werden. Der Film warnt uns, denn leider lassen sich auch zu aktuellen politischen Ereignissen Parallelen ziehen…

Aber dies ist eine Filmkritik. Und die Thematik an sich darf Kritik am Film selbstverständlich nicht verbieten. Deshalb fange ich mal mit dem an, was mich an Son of Saul gestört hat. Denn uneingeschränkt kann ich nicht in die Lobeshymne einstimmen, die seit dem Gewinn des großen Jurypreises in Cannes erklingt und die Son of Saul vermutlich zum Gewinn des Fremdsprachen-Oscars tragen wird.

Im Nachhinein fehlte mir etwas die Substanz in der recht vorhersehbaren Handlung. Das, was der Film primär erzählt, hätte auch sehr guten Stoff für einen hervorragenden Kurzfilm abgegeben. Einige Szenen oder Handlungsstränge scheinen nur zu existieren, um den Film zu strecken. Man kann argumentieren, dass durch jede Szene die Schreckenskulisse der Konzentrationslager aufgebaut wird. Meiner Meinung nach ist diese schnell installiert und wird dann auf einem Level gehalten. So oder so, man ist schockiert von dem, was rund um Saul passiert. Manchmal merkt man leider, dass der Film eine kleinere Produktion ist (zum Beispiel an der Schwimmszene, oder auch an einigen deutschen Nebendarstellern/Statisten).

Der Film von Regisseur László Nemes möchte vor allem Atmosphäre erzeugen. Das gelingt durch die Wahl der Perspektive. Wir begleiten ausschließlich Saul durch das KZ, häufig schräg über seine Schulter hinweg. Wir betrachten alles aus seiner Perspektive, die Peripherie ist unscharf. Wir können beobachten, dass Saul vermeidet, sie Schrecken direkt zu fokussieren. So sehen auch wir beispielsweise die nackten Körper in den Gaskammern unscharf am Rand des Bildes, selten im Mittelpunkt. Vielleicht gelingt es Saul nur so, seine Arbeit auszuführen. Es ist schrecklich. Die Hektik, wenn neue Opfer in den Katakomben eintreffen und angewiesen werden, sich zu entkleiden. Die Schreie in den Kammern. Er weiß, dass sie alle sterben. Er weiß es.

Géza Röhrig steckt tief in seiner Rolle. Sein Saul ist unscheinbar. Er weiß, wie man im Lager keine Aufmerksamkeit erregt. Sein Ziel, sein Sohn, gibt ihm das kleine bischen Menschlichkeit – ein Hoffnungsschimmer in der Hölle. Ein einziges Lächeln.

Son of Saul bietet einen einzigartigen, seltenen Einblick in das Grauen von Auschwitz aus Sicht eines Gefangenen, der im KZ arbeiten muss. Verantwortlich dafür ist neben dem überzeugenden Hauptdarsteller die Umsetzung durch bedrückendes Szenenbild und fokussierte Kamera (Mátyás Erdély). Auf die Tränendrüse drückt Son of Saul nicht, dafür ist man zu sehr schockiert durch die Unmenschlichkeit, die Verbrechen, die vor Sauls Augen geschehen. Es ist unvorstellbar.

Nach dem Kinobesuch zog es mich in unsere Gemeinschaftsküche. Einfach etwas reden. Bereuen tue ich meinen Kinobesuch nicht, aber eines weiß ich ganz genau: Son of Saul hat einen Platz sicher auf meiner Liste derjeniger Filme, die ich mir nie wieder ansehen möchte.

5 von 7 Falken

*Normalerweise findet ihr hier unsere persönlichen “Highlights”. Aber bei diesem Film finde ich das Wort unangebracht und habe die Kategorie kurzerhand umbenannt.

Simon

Redakteur Moviefalcon.de, Film-, Kino-, Oscarenthusiast! Wenn nicht gerade unterwegs in einer weit entfernten Galaxis, dann sicherlich mit Mad Max auf der Fury Road oder zu Besuch im Grand Budapest Hotel.

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