Simon schaut “Victoria” (2015)

One-take Thriller in Echtzeit. Für Victoria beginnt eine Achterbahnfahrt, als sie Sonne und dessen kleinkriminelle Freunde am Ausgang eines Clubs trifft. Zwei Stunden lang begleiten wir die junge Spanierin durchs frühmorgendliche Berlin. Authentisch, emotional und spannend.

Achtung! Trailer enthält Spoiler!

Simons Highlights

  • Laia Costa als Victoria und Frederick Lau als Sonne
  • die Nähe zu den Figuren durch authentische Improvisation und Kamera

Worum es geht

Nach einer Party trifft Victoria (Laia Costa) frühmorgens gegen vier Uhr Sonne (Frederick Lau), Boxer (Franz Rogowski), Blinker (Burat Yigit) und Fuss (Max Mauff). Victoria aus Madrid ist seit einigen Monaten in Deutschlands Hauptstadt und jobbt in einem Café. Gemeinsam mit den jungen Männern zieht sie durch die Straßen in Berlin Kreuzberg und Mitte. Es wird geraucht, getrunken und geredet. Sonne flirtet mit Victoria. Boxer erzählt, dass er noch vor nicht allzu langer Zeit im Gefängnis einsaß. Als Fuss schließlich betrunken zusammenklappt, wird Boxer unruhig. Zu viert haben sie noch etwas zu erledigen und sehen sich nun gezwungen, Victoria um ihre Mithilfe zu bitten. Sie willigt ein, Fuss zu ersetzen.

Simons Kritik

Party in Berlin. Dreht den Bass auf, es lohnt sich! Weißes Licht flackert über Victorias Gesicht, während sie sich alleine auf der Tanzfläche verausgabt. Laia Costa spielt zunächst eine enthemmte Victoria, die noch keine Freunde in ihrer neuen Heimat finden konnte. Vermutlich ist es das, weshalb sie die Jungs begleitet – wenn sich der freundliche Sonne und seine besten Freunde auch nicht gerade von ihrer besten Seite zeigen. Sie sind authentisch liebenswert und gleichzeitig leicht asozial. Und sie sprechen auch so. Die Figuren schließt man trotz ihrer Macken schnell ins Herz. Kleine Fische, die da in etwas hineingerutscht sind, wovon Protagonistin Victoria jedoch noch nichts weiß.

Schon früh im Jahr 2015 erweckte Victoria Aufsehen, als der deutsche Thriller bei den 65. Internationalen Filmfestspielen Berlins (der Berlinale) den Silbernen Bären für herausragende künstlerische Leistungen für die Kamera erhielt. Der Film wurde von Sturla Brandth Grøvlen in einem einzigen Take gedreht. Über zwei Stunden lang sind wir Victoria ganz nah an und erleben die Geschehnisse, als seien wir live mit dabei, als seien wir ein sechstes Mitglied der Gruppe.

Die erste Dreiviertelstunde lernen wir die Figuren kennen – und sie sich gegenseitig. Das Verhältnis zwischen Frederick Laus als verpeilter Sonne und Costas neugieriger Victoria steht im Zentrum dieses ersten Akts. Ihr Umgang miteinander ist natürlich und echt, auch weil große Teile des Dialogs improvisiert sind. Der ganze Film basiert auf bloß zwölf Seiten Drehbuch! Drei Mal hat Schipper mit seinem Team den Film komplett am Stück gedreht. Es muss sich ein bisschen wie Improvisationstheater angefühlt haben. Kleinere Missgeschicke kann man nur erahnen, sie werden authentisch überspielt. Das Sprachwirrwarr und die Unbeholfenheit, mit der sich Sonne und Victoria auf (d)englisch verständigen, sind charmant. Regisseur Sebastian Schipper gibt den Hauptdarstellern den notwendigen Raum, um sich innerhalb kurzer Zeit anzufreunden. Es wird nicht aufs Tempo gedrückt.

Wenn man es durch diesen ersten Teil geschafft hat (der sich zugegebenermaßen etwas zieht, wenn man den Film ein zweites Mal ansieht), dann wird das Tempo angezogen. Und nicht nur das. Plötzlich wird es immer spannender und undurchsichtig. Von einer Charakterstudie zum Thriller. Wir sind wie Victoria. Auch die Protagonistin weiß häufig nicht, in was sie da hineingestolpert ist. “Tu-es-nicht!”-Momente, Chaos und Überforderung für alle Beteiligten. Insbesondere Lau und Costa sind so gut in ihren Rollen, man kann nur mitfiebern.

Victoria war für mich persönlich der bisher beste deutsche Film, den ich im Kino gesehen habe. Besonders auf der großen Leinwand und beim ersten Anschauen wird man durch die Nähe zu den Charakteren in die Handlung hineingezogen wie in einen Strudel. Victoria ist eine innovative, emotionale Achterbahnfahrt in Echtzeit.

6 von 7 Falken

PS: Als ich den Film ein zweites Mal gesehen habe, war eine französische Freundin von mir dabei. Sie spricht kein Wort Deutsch – konnte bei dem Film aber dennoch ohne Untertitel wunderbar mitgehen. Es wird viel Englisch geredet. Auch Victoria versteht nicht alles, was gesprochen wird, und so identifiziert man sich vielleicht umso mehr mit der titelgebenden Rolle. Getrieben wird der Film (ab Akt zwei) sowieso durch die Handlung, nicht die Dialoge. Also: Wenn ihr Besuch aus dem Ausland habt und gemeinsam einen deutschen Film schauen möchtet, dann ist Victoria auf jeden Fall eine Überlegung wert!

Simon

Redakteur Moviefalcon.de, Film-, Kino-, Oscarenthusiast! Wenn nicht gerade unterwegs in einer weit entfernten Galaxis, dann sicherlich mit Mad Max auf der Fury Road oder zu Besuch im Grand Budapest Hotel.

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